Der Barde (Forts.)

Der mythische Taliesin (vielleicht auch der tatsächliche) zog, nachdem er Elphin verlassen hatte, gen Norden und errang die Gunst des kumbrischen Königs Urien aus Rheged. Auch Aneirin weilte im Norden, wo er sich an der Stürmung der Festung Catraeth beteiligte, die von Angeln besetzt war. Er war einer aus der Handvoll Männer, die unbeschadet aus diesem waghalsigen, schon fast typisch-keltischen Angriff hervorgingen. Um diese Zeit kam eine Phase des Gleichgewichtes in Britannien, in der sich sowohl die Briten erstarkt als auch die Angeln konsolidiert hatten, nachdem sie am Badon (von Arthur ?) einen vernichtenden Schlag eingesteckt hatten. Die Briten hatten nach wie vor die Kontrolle über die meisten britischen Regionen, die das einstige britisch-römische Reich ausgemacht hatten. Es war eine vergleichsweise ruhige Zeit, in der die Briten sich sozusagen auf ihren Lorbeeren ausruhten und schnell vergaßen, das sie wieder zu einander gefunden hatten. Als Konsequenz begannen sie sich wieder selbst gegenseitig zu bekriegen und die fünf unabhängigen Könige gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik wegen ihrer angeblichen Mißwirtschaft und ihren nachlässigen Herrschaft. Zeitlich könnte diese Periode als Taliesins Wirkungszeit hinkommen und ihn als Barden in einem der unabhängigen Königreiche indentifizieren.

Die Barden behielten ihren Status auch, als das Druidentum verboten wurde und die Druiden und Barden mit den frühen Literaten Irlands und Wales von der Kirche in den Stand der filids aufgenommen, bzw. zu christlichen Gelehrten konvertiert wurden. Neben ihrer Funktion als Ependichter und -sänger waren die Barden aber auch die Wahrer und Autoren von Sagas, Genealogien, Ueberlieferungen, Sitten und Bräuchen und letzten Endes auch Ratgeber in Sachen Rechtsprechung und Gesetzgebung. Als Geschichtenerzähler bekamen sie schnell Nacheiferer, unter denen sich einige hervortaten, wie z.B. die ursprünglichen Verfasser und Erzähler der Zweige des Mabinogions.

Während Merlin als Mensch mindestens zwei Jh. hätte leben müssen, um all seine Taten vollbringen zu können, die man ihm andichtete, scheint Taliesin ein wahrer Wandervogel zwischen den Welten und Zeiten gewesen zu sein. Er taucht schon vor unserer Zeitrechnung auf, als einer der Sieben, die Brans Kopf nach Britannien zurückbringen und dann als der Prophet von Christi Geburt. Nach unserer Zeitrechnung wird er als Freund und Weggefährte des kymrischen Myrddin, als Lobpreiser an Emrys Gwledigs Bestattung, als Hofbarde an Uriens Hof und als Schlüsselfigur an Artus Seite beschrieben. Diese Zeitlosigkeit wird gerne im Zusammenhang mit seinen zahlreichen Reinkarnationen gesehen. Die simplistische Deutung des entsprechenden Rätsels würde dann die Gültigkeit seiner Präsenz an Brans und später an der Arthurs Seite bestätigen. Dies brächte natürlich mit sich, daß er evtl. mit Morgan le Fay auf jenem Boot gewesen sein könnte, das Arthur nach Avalon hinübersetzte. Taliesins Schilderung der Reise nach Avalon (wie sie bei Geoffrey of Monmouth wiedergegeben wird) ist die älteste bekannte und ergo erste Schilderung über Arthurs Ausscheiden aus dem irdischen in ein Weiterleben in der Anderswelt. Entsprechend passend wäre dann auch Taliesins Berichterstattung über Arthurs Einfall in Anwwfn und seine Suche nach dem Zauberkessel, letzteres möglicherweise das Motiv für die spätere literarische Erfindung der Gralslegende.

Während viele ihn als Erwachsenen in die Arthurische Zeit versetzen und als Myrddins Schüler und Freund sehen, scheint er als tatsächlicher Mensch mehr oder weniger zu der Zeit gelebt zu haben, in der auch die anderen vier Barden gewirkt haben - also um das 6. Jh. herum und ergo zirka hundert Jahre nach Arthur, alias Riothamus, der als einziger unmythischer Arthur, Mensch und Krieger im 5. Jh. lebte.